Wer die unterirdischen Gänge der Kapuzinergruft von Palermo (Ital.: Catacombe dei Cappuccini) betritt, der zieht aus, das Fürchten zu lernen. Die hier Bestatteten schlummern nicht etwa friedlich in ihren Särgen. Sie erwarten den Besucher vielmehr aufrecht stehend: An den steinernen Wänden lehnend oder in Nischen kauernd starren sie ihm aus leeren Augenhöhlen entgegen.
Die verwinkelte Gruft befindet sich unter dem 1534 erbauten Kapuzinerkloster Palermos. Durch die trockenen Tuffsteinwände des Grabgewölbes und besondere Zugluft-Bedingungen herrscht hier ein ungewöhnliches Raumklima, das ein normales Verwesen der Toten verhindert. Diese trocknen vielmehr aus, sie werden mumifiziert.
Seit Ende des 16. Jahrhunderts machten sich die Kapuzinermönche dieses Phänomen zunutze und bestatteten ihre Brüder zumeist nicht in Särgen, sondern an die Wände der Anlage gelehnt oder an diesen entlang gebettet. Es entstand die größte Mumiensammlung in ganz Europa: Mehr als 2.000 Menschen fanden hier ihre letzte Ruhestätte.
Nachdem die Gruft bis 1670 ausschließlich Geistlichen vorbehalten war, ließen sich in der Folgezeit auch zahlreiche betuchte Bürger Palermos, die vom guten Erhaltungszustand der hier Beigesetzten beeindruckt waren, in den Katakomben beerdigen. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts fanden in der Kapuzinergruft Bestattungen statt.
Die Grabanlage unterteilt sich in fünf Gänge: Zwei davon sind Priestern und Mönchen vorbehalten. In den drei weiteren sind getrennt voneinander Männer, Frauen und die Angehörigen bestimmter Berufe (u.a. Ärzte und Politiker) untergebracht. Auch für Kinder schuf man einen gesonderten Bereich.
Die Mumien wirken auf den Betrachter auf beklemmende Weise lebendig. Viele tragen noch ihre historischen Kleider, aus denen mit verdorrter Haut überzogene Häupter hervor lugen. Während einige der Toten gut erhalten sind und ihnen teilweise sogar ihr Haupthaar geblieben ist, sind andere stärker verwest und geben den Blick auf blanke Knochen und gespenstisch grinsende Schädel frei.
In einer unterirdischen Kapelle findet sich die berühmteste Tote der Kapuzinergruft: Es handelt sich um den Leichnam der 1920 im zarten Alter von nur zwei Jahren verstorbene Rosalia Lombardo. Sie gilt als die schönste Mumie der Welt. Dem Einbalsamierer Alfredo Salafia gelang es, den zarten Körper des Mädchens durch Verwendung einer geheimnisvollen Essenz weitgehend vor der Verwesung zu bewahren. Rosalia befindet sich bis heute in einem einzigartigen Erhaltungszustand. Der Betrachter hat den Eindruck, in das liebliche Antlitz eines sanft schlafenden Kindes zu blicken.